Früher habe ich mir selbst die Hölle heiß gemacht, wenn am Ende des Tages noch offene Punkte auf meiner To-Do-Liste standen. Wie mein Weg hin zu weniger Druck und nachhaltiger Produktivität ausschaut – und wieso du mehr erreichst, wenn du weniger arbeitest:
Egal wobei – ob im Job, in Haus & Garten oder selbst bei meinen Hobbys – ich bin verflucht ehrgeizig und neige dazu, mich selber viel zu sehr unter Druck zu setzen. Jahrelang habe ich mich dafür fertig gemacht, nie genug zu schaffen, nie genug zu sein:
Wenn ich es nicht schaffte, alle E-Mails zu beantworten (vor allem, wenn es mit dem simplen Antworten nicht getan war, sondern komplexe Aufgaben dranhingen). Wenn auf einem meiner Blogs mal eine Woche ohne neuen Artikel verging. Wenn eine Fensterbank staubig war und ich es tagelang nicht auf die Reihe bekam, „mal eben schnell“ den ganzen Raum zu putzen. Auch, wenn ich abends völlig erledigt war und das Lauftraining sausen ließ, was ich ein paar Jahre lang eigentlich echt ziemlich straight durchgezogen habe – dann war das für mich immer mein persönliches Versagen.
Irgendwie musste ich es doch schaffen, alles unter einen Hut zu bekommen! Ich musste einfach nur schneller arbeiten, effizienter arbeiten, mich besser organisieren! Oder?!
Irgendwann dämmerte es mir, dass mein utopisches Pensum gar nicht zu schaffen war. Dass nicht ich zu wenig war, sondern die Menge an selbst aufgebürdeten Aufgaben und Ansprüchen zu viel.
Also – es ist nicht so, als hätte ich diese Erkenntnis gehabt und schwuppsdiwupps meine ganze Einstellung um 180° verändert. Das war ein echt langer Prozess, und ich arbeite immer noch daran. Denn auch heute struggle ich noch damit. Ich erledige einfach wahnsinnig gern Dinge und ich liebe es nach wie vor, produktiv und kreativ zu sein. Ich bin ein Getting things done-Junkie. 😅 Ich brenne dafür, Dinge zu (er)schaffen – und ja, jeder dieser berühmten Meilensteine pusht auch irgendwie mein Selbstwertgefühl.
Mir steht dafür halt nur nicht mehr die gleiche Menge Energie wie früher zur Verfügung. Aber ich habe Wege gefunden, wie Produktivität trotzdem funktioniert… nur eben anders. Darum soll es hier gehen. Um Anti-Hustle, um nachhaltige, gesunde Produktivität. 💛
Das findest du hier:
Hustle Culture, Anti-Hustle – was ist das eigentlich?!
Falls du dich fragst, was „Hustle Culture“ eigentlich bedeutet: das ist ein Begriff, der in den 2010ern durch Social Media populär wurde und die Glorifizierung von permanenter Überarbeitung beschreibt. Hustle ist das englische Wort für sich abstrampeln.
Gerade in der Startup-Szene ist dieses Mindset allgegenwärtig: als könnte man als Unternehmer nur erfolgreich sein, wenn man jede Nacht und auch am Wochenende bis in die Puppen exzessiv arbeitet, Freizeit und Erholung als etwas für Weicheier abtut und sich am besten auch noch dem „5am Club“ anschließt – sprich, in aller Herrgottsfrühe aufsteht, um noch ein Fitzelchen mehr Produktivität aus dem Tag herauszuquetschen.
Anti-Hustle Culture ist die logische Gegenbewegung, die etwa ab 2018 aufkam und fragt: Muss das wirklich sein?
Das Problem mit der „Immer-mehr“-Mentalität
Unsere Leistungsgesellschaft verkauft uns die Illusion, dass wir Maschinen sind. Mehr arbeiten bedeutet mehr Produktivität, mehr Produktivität bedeutet mehr Erfolg, mehr Erfolg bedeutet mehr Glück. Wer müde ist, trinkt mehr Kaffee. Wer überfordert ist, organisiert sich besser. Wer burnout-gefährdet ist, macht halt ein Wellness-Wochenende und dann geht’s weiter.
Aber die unbequeme Wahrheit ist: Menschen sind keine Maschinen. Wir haben begrenzte Energie, unterschiedliche Bedürfnisse und – Überraschung! – manchmal auch einfach miese Tage.
Die „Immer-mehr“-Mentalität funktioniert vielleicht kurzzeitig für junge, gesunde Menschen ohne große Verpflichtungen. Aber was ist mit dem Rest von uns? Was ist mit Menschen, die chronisch krank sind, Kinder haben, neurodivergent sind oder einfach keine Lust mehr haben, sich für die Karriere kaputt zu machen? Wenn man feststellt, dass man diese Schlagzahl nicht noch 20, 30 oder 40 Jahre durchhält?
Was sagt die Wissenschaft dazu?
Studien bestätigen schon lange, was viele intuitiv wissen: mehr arbeiten führt nicht automatisch zu mehr Produktivität. Eine Stanford-Studie zeigt, dass Arbeitnehmer ab einer 50-Stunden-Woche deutlich weniger schaffen – und ab 55 Wochenstunden sinkt die Produktivität sogar noch weiter. Eine britische Untersuchung von Vouchercloud mit knapp 2.000 Büroangestellten brachte ein ernüchterndes Ergebnis: durchschnittlich sind sie nur 2 Stunden und 53 Minuten am Tag wirklich produktiv.
Noch interessanter: Die Hans-Böckler-Stiftung analysierte europäische Länder und fand einen klaren Zusammenhang: Länder mit kürzeren Arbeitszeiten haben eine höhere Arbeitsproduktivität. Eine aktuelle deutsche Studie der Universität Münster zur 4-Tage-Woche von 2024 bestätigt das. Die Lebenszufriedenheit stieg signifikant, während die Produktivität gleichblieb oder sogar leicht anstieg.
Besonders fatal finde ich, dass Überarbeitung nicht nur die Produktivität abtötet, sondern auch unsere Kreativität. Studien zeigen, dass bei Überlastung durch Arbeit die kreativen Fähigkeiten begrenzt werden – es wird immer schwieriger, innovativ und gleichzeitig effizient zu sein. Neurowissenschaftler belegen sogar, dass das Gehirn im Ruhezustand kreativer ist und frei assoziieren kann.
Von Produktivität, Pausen & Perfektion
Wie gesagt, ich hatte keinen filmreifen Aha-Moment, ab dem ich alles auf links gekrempelt hätte. Es war eher ein schleichender Prozess des Erkennens. Langsam merkte ich, dass 12-Stunden-Tage nicht mehr gingen. Dass mein Oberstübchen nach intensiven Meetings ähnlich fluffig-flauschig ist wie Zuckerwatte. Dass mein Körper bisweilen einfach streikt und darauf pfeift, dass nach einem langen, anstrengenden Tag eigentlich noch der Rasen gemäht werden muss.
Umgekehrt merkte ich aber auch: diese verrückten Gerüchte stimmen tatsächlich! 😳 Ab und an ein „fauler“ Sonntag mit Netflix auf dem Sofa lässt mich am nächsten Tag fitter aus dem Bett kommen. Bewusste kurze Pausen mit Stretching und Atemübungen bringen mich wirklich besser durch den Arbeitstag. Und wenn ich „nebenbei“ beim Werkeln im Garten über eine Keynote nachdenke, die ich halten soll – dann kommt da mehr bei rum als wenn ich krampfhaft auf PowerPoint starre und eine halbgare Folie an die nächste klatsche.
Seitdem erlaube ich mir, Pausen zu machen. Auf meinen Körper zu hören. Mit meinem Biorhythmus zu arbeiten statt gegen ihn.
Unterm Strich arbeite ich weniger, bin aber produktiver. Mit dem, was ich mache, bewege und erreiche ich mehr. Und nebenbei macht mich das auch noch zufriedener. 💛
Diese Veränderung hin zu nachhaltigerer Produktivität ist ein Lernprozess – und ich bin längst nicht fertig damit. Manchmal erwische ich mich immer noch dabei, wie ich mir zu viel vornehme. Aber so allmählich kann ich ehrlich sagen: Es ist okay, nicht perfekt zu sein.
Denn nachhaltige Produktivität ist nicht das Gegenteil von Leistung. Sie ist kluge Produktivität. Sie fragt nicht „Wie schaffe ich noch mehr?“, sondern „Wie schaffe ich das, was wichtig ist, ohne mich dabei kaputt zu machen?“
I can do anything, but not everything.
Vergiss Zeitmanagement – fang mit Energiemanagement an
Das war für mich die wichtigste Erkenntnis überhaupt!
Früher habe ich meine Tage rein nach Zeit geplant. Bloggen von 7-8, dann eine Stunde Projektkleinkram, E-Mails von 9-10, die eine PowerPoint-Präsentation bis 11, danach das wichtige Projekt. Völlig egal, wie ich mich gerade fühlte oder was mein Gehirn gerade realistisch leisten konnte.
Heute plane ich nach Energie. Morgens beim Frühstück arbeite ich an den Blogs. Zwischen 8 und 11 Uhr ist mein Gehirn noch frisch – da kommen die schwierigen Aufgaben aus der Firma dran. Komplexe E-Mails, strategische Entscheidungen, To Dos, die volle Konzentration erfordern. Um 14 Uhr fühlt sich mein Kopf an wie Watte? Perfekt für Routineaufgaben oder eine Runde mit dem Hund.
Das macht einen riesigen Unterschied! Statt gegen meinen natürlichen Rhythmus anzukämpfen und mich zu zwingen, in einem absoluten Energietief noch irgendwie halbwegs sinnvolle Sätze zu formulieren, arbeite ich mit ihm. Eine schwierige Aufgabe zur richtigen Zeit dauert halb so lang und macht doppelt so viel Spaß. 😊
Ich berücksichtige mittlerweile, dass mich auch Meetings eine ordentliche Portion Energie kosten. Theoretisch kann ich fünf oder sechs Meetings am Stück in meinen Kalender quetschen. Praktisch geht mir dann aber irgendwann die Power aus und ich absolviere sie nur noch halbherzig bzw. „halbhirnig“ – und da hat keiner was von.
Dieses Phänomen betrifft übrigens auch meine Kollegen… durch die unterschiedlichen Zeitzonen haben wir oft am späten Nachmittag oder Abend Meetings mit den US-amerikanischen Kollegen. Die haben dann gerade ihren ersten Kaffee des Tages getrunken und sind hellwach, energiegeladen und auf Zack – während man diesseits des großen Ozeans oft schon kollektiv ausgelaugt ist von einem langen Arbeitstag.
Jeder Mensch hat natürliche Energie-Höhen und -Tiefs, unabhängig vom Alter und deiner generellen Gesundheit. Wann bist du am kreativsten? Wann kannst du dich am besten konzentrieren? Wann brauchst du eher leichte Aufgaben? Versuch mal, so gut es geht deine Tagesplanung entsprechend umzustellen.
Wo ist deine Energie sinnvoll investiert?
Das gute alte Pareto-Prinzip – auch bekannt als die 80/20-Regel – besagt: 20% der Aufgaben bringen 80% der Ergebnisse. Das kommt in verdammt vielen Bereichen hin! Nun bin ich definitiv nicht der Typ, der die Dinge irgendwie hinschludert. Das ist nicht mein Stil – tatsächlich ist Qualität einer meiner Grundwerte.
Was ich aber gelernt habe: besser zu erkennen, wo meine Energie sinnvoll investiert ist und wo nicht.
Beispiel: Einen Blogartikel korrigiere ich immer noch sorgfältig – da ist Qualität wichtig für mich. Aber muss ich wirklich jede E-Mail dreimal überarbeiten? Muss täglich gesaugt werden oder reicht einmal pro Woche staubsaugen plus ein-, zweimal fegen (Bonnie haart halt einfach ohne Ende 🐶)? Muss ich in jedem Hochbeet jeden Quadratzentimeter superduper optimal bepflanzt haben, oder kann da auch mal etwas zwei Wochen lang brachliegen?
Es geht nicht darum, schlechte Arbeit abzuliefern. Es geht darum zu unterscheiden: was verdient meine volle Aufmerksamkeit und Energie und was braucht nur ein „gut genug“?
Progress, not perfection & done is better than perfect
Das sind so zwei der Mantras, die ich dir echt ans Herz lege. Beim Bloggen bedeutet das für mich beispielsweise, dass ich mich nicht mehr in endlosen Optimierungsschleifen verliere. Ein guter Artikel, der online geht, hilft mehr Menschen weiter als der „perfekte“ Artikel, der ewig im Entwürfe-Stapel rumliegt und am Ende dann doch nie veröffentlicht wird.
Das gilt für alles: Lieber ein aufgeräumtes Wohnzimmer für einen gemütlichen Abend mit Freunden, als das ganze Haus von oben bis unten in einem Tag zu schrubben und danach völlig groggy um acht auf dem Sofa einzuschlafen. Lieber eine kurze, ehrliche E-Mail-Antwort, als drei Tage zu grübeln, wie ich etwas „perfekt“ formuliere.
Warum nachhaltige Produktivität auch für Gesunde sinnvoll ist
Wie gesagt, mit einer chronischen Erkrankung sind die Energielevel oft leider begrenzter, sodass ich da grundsätzlich besser wirtschaften und haushalten muss. Aber auch als gesunder Mensch profitierst du enorm von nachhaltigen Produktivitätsstrategien!
Jeder Mensch hat begrenzte Energie. Jeder hat mal schlechte Tage. Jeder verdient es, produktiv zu sein, ohne sich dabei zu zerstören. Auch du. 🫶
Nachhaltige Produktivität bedeutet nicht, faul zu sein oder keine Ziele mehr zu haben. Es bedeutet, clever mit deinen Ressourcen umzugehen. Deine mentale, emotionale und körperliche Energie nicht sinnlos zu verpulvern. Es bedeutet, Systeme zu entwickeln, die auch dann funktionieren, wenn du nicht mindestens 100% gibst… damit dein Leben aus mehr besteht als nur endlosen To Do-Listen.
Nachhaltige Produktivität ist wie ein Marathon, nicht wie ein Sprint. Du brauchst Strategien, die dich nicht nach einem Jahr ausbrennen lassen, sondern die dich jahrzehntelang durch ein zufriedenes Leben tragen.
Das bedeutet beispielsweise:
- 🎯 Realistische Ziele setzen (und dich über kleine Fortschritte freuen)
- 🗓️ Flexibel planen mit Puffern
- 🫶 Selbstfürsorge als Teil deiner Produktivität begreifen, nicht als Luxus
- ✔ Akzeptieren, dass manche Tage einfach nur „gut genug“ sind
Das sind alles Elemente der Anti-Hustle-Culture. Ich freue mich darauf, in den kommenden Beiträgen näher darauf einzugehen!
Produktivität, die dich nicht kaputt macht, ist die einzige Art von Produktivität, die langfristig funktioniert. 🫶
Wie siehst du das?
Ich sehe das tatsächlich und halte es ähnlich.
Ich plane mir immer ziemlich gute Puffer ein (ich bin mir nicht sicher, ob das ein wirkliches Zitat aus Star Trek ist, aber Scotty hat Reparaturen immer größer veranschlagt und dann hieß es, er könne Wunder vollbringen – ja :D)
Besch***** Tage … gibt es halt, wobei es manchmal nervt (ich mag keine Nullrundenmonate (Autorenkarriere)!)
… das Wichtigste sind aber die realistischen Ziele. Mit der „Leiter“, die man erklimmen muss, statt sich hochzubeamen … mit der habe ich mich abgefunden.
Das mit den Wundern mag ich… geht so in Richtung underpromise and overdeliver. 😀
Ein superspannender Text – mir gefällt, wie diese neue Haltung zu ganz interessanten Perspektiven auf das Thema führt.
Nur mit der Andeutung, das 80/20 Prinzip könne zu schludrigen Ergebnissen führen, da gehe ich nicht mit. Für mich bedeutet Pareto vor allem, mir gut zu überlegen, für welche Aufgabe ich bereit bin, enorm viel Zeit aufzuwenden, nur um die letzten 20 Prozent zur Perfektion zu erreichen, wenn 80 Prozent einfach gut genug sind. Liebe Grüße, Astrid
Hallo Astrid,
so halte ich das ja auch – aber bei manchen Aufgaben möchte ich diese Extraarbeit einfach auch noch investieren, weil es mir wichtig ist. Schuldrig ist da vielleicht ein zu harsches Wort, aber bei einer wichtigen Präsentation beispielsweise will ich sicherstellen, dass ich wirklich keinen einzigen Tippfehler übersehen habe – auch wenn es wahrscheinlich „gut genug“ wäre, die Präsentation überhaupt zu halten und das Thema voranzutreiben.
Liebe Grüße
Anne